Durch den Bericht von Nikolaus Bernau in der F.A.Z. bin ich auf die höchst fragwürdigen Eingriffe in das Lindenau-Museum aufmerksam gemacht worden. Ich darf dabei erwähnen, dass ich mit Altenburg dadurch verbunden bin, dass mein Vater dort und ich selbst im benachbarten Nobitz geboren wurde sowie dass es verwandtschaftliche Beziehungen zu Ernst Ludwig Reichenbach (“Palais Reichenbach“) gibt.
Zum Entwurf möchte ich Folgendes anmerken:
Die veröffentlichte Visualisierung der Architekten irritiert erheblich: Auf den ersten Blick scheint eine brückenträgerartige Konstruktion das Museum über einem Gewässer schweben zu lassen bzw. sieht es so aus, als ob das Gelände geflutet worden sei („Blaue Flut“?). Dann denkt man, hier solle einem staatlichen Repräsentationsbau des späten 19.Jh. optisch die Basis entzogen und durch schräg gestellte, labil wirkende Krücken ersetzt werden, als gelte es, das Gebäude bloßzustellen – aber aus welchem Grund? Es werden also ganz falsche Assoziationen geweckt.
Tatsächlich ist es furchtbar banal: Eine gläsernen Vitrine, einer Ladenpassage ähnlich, wird davorgesetzt, sodass der „Hauptkörper wie auf ein Tablett gestellt“ (Originalton Architekt) erscheint. Und weiter: der Besucher soll denken: „OK, hier ist irgendwie was Neues entstanden.“ (Zitate aus dem Film auf der Website).
Irgendwie was Neues – das ist der Tenor des Entwurfs. Man betrachte die völlig unmotivierten, ungelenken Kurvaturen der Glasfassade (Originalzitat: „ein bisschen schwingen lassen“) sowie die unglückliche Herausnahme des Eingangs/Windfangs aus der zentralen Achse und seine peinliche Schrägstellung, außerdem den in der lichten Höhe viel zu flach wirkenden Eingangsraum mit den „irgendwie“ verteilten runden Oberlichtern – die Rede ist von „zeitgemäßem Raum mit Shopbereich“. Genau das ist es: eine gläserne Shoppingzone.
Die digitale Ansicht der Fassade des Museums wirkt infolge des Weglassens vieler plastischer Details wie ein billiges Pappkartonmodell, so dass man auf den ersten Blick das Museum gar nicht wiedererkennt. Eine Darstellung der tatsächlichen Fassade mit all ihren Details – die die gewisse Monumentalität und „Gewichtigkeit“ des Gebäudes zeigen würde – zusammen mit dem gläsernen Vorbau hätte die Absurdität des Vorhabens besonders deutlich werden lassen. Man muss den Architekten leider unterstellen, dass sie durch ihre verharmlosende Fassadendarstellung manipulativ vorgegangen sind. Die von der tatsächlichen Plastizität befreite Fassade scheint in der Visualisierung eine verträglichere Verbindung mit der gläsernen Basis einzugehen. Das etwaige Argument, man hätte die Fassade nur abstrahiert darstellen wollen, kann in Zusammenhang mit einem solch fundamentalen Eingriff nicht akzeptiert werden.
Dass der bisherige Eingangsbereich nicht „besucherorientiert, einladend, funktional oder repräsentativ“ sei, so die Argumente für die neu geplante Eingangssituation, ist, außer dass er nicht behindertengerecht ist, eine schiere Behauptung. Die Treppen- und Balustradenanlage mit dem Halbrund eines “Stadtbalkons“ wird durch die Führung der beiden Treppen mit ihrem betonten Aufforderungscharakter (sie zu betreten) zu einer architekturgewordenen Willkommensgeste – ein wirksames inszenatorisches Element.
Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf das Städel-Museum in Frankfurt, bei dem im Zuge des Umbaus und der Erweiterung die vergleichbare Eingangsfront mit Treppe des 1878 errichteten Gebäudes (des Architekten Oskar Sommer [1840-1894], ebenfalls ein Schüler bzw. Mitarbeiter von Semper wie Julius-Robert Enger [1820-1890] ) beibehalten, ein Extraeingang und Aufzug für Behinderte an der Seite eingerichtet und vor allem eine unterirdische Erweiterungs im rückwärtigen Gartenbereich realisiert wurde, die, mit Oberlichtern versehen und bepflanzt, eine unaufdringliche, elegante und mit Architekturpreisen bedachte Lösung darstellt. Ein ähnliches Erweiterungskonzept wäre auch für das Lindenau-Museum denkbar – rückwärtig (allerdings eingeschränkt durch Baumbestand) oder seitlich rechts im Bereich der freien Grünfläche (soweit ich dies Google Earth entnehme).
Prof. Lothar E.O. Eckhardt, Dipl.-Ing. Architekt
Hamburg, 9. Februar 2022
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