Leipzig, Weimar, Altenburg: Wie ostdeutsche Städte mit Abrissen ihr historisch-kulturelles Ansehen verschleudern.
Von Dankwart Guratzsch
Die Denkmalbestände der neuen Bundesländer, mühsam genug über Krieg und SED-Herrschaft herübergerettet und inzwischen zumindest teilsaniert: Beginnen sie schon wieder zu wanken? Gerade erst ist nach heftigen Protesten von Denkmalpflegern aus ganz Deutschland eine Demontage des Denkmalschutzgesetzes von Sachsen abgewendet worden, da kommen fast täglich neue Hilferufe für den Erhalt bedrohter Einzeldenkmale aus mitteldeutschen Städten. Den Denkmalämtern sind die Hände gebunden. Die Stiftung Denkmalschutz protestiert vergebens, bei Bundesregierung und Länderministerien bleibt sie ungehört.
In Leipzig sind die Würfel schon gefallen. Der letzte Repräsentativbau der Alten Messe wird mit dem Segen der Landesdirektion abgerissen: das Ensemble der Messehallen 1-3. Umsonst der Appell der Leipziger Denkmalstiftung: “Die drei Messehallen von Curt Schiemichen haben einen hohen architektonisch-gestalterischen und zugleich auch einen außerordentlich historischen Wert aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte in dem Zeitraum von 1928 bis 1937.”
An sich hätte das jeder Leipziger auch ohne Fachgutachten wissen können. Doch die Stadt schaltete den Denkmalschutz erst gar nicht ein. Es ging um “Nazibauten”, deren Entwürfe (ähnlich jenen für das Berliner Olympiastadion) aus den zwanziger Jahren stammten, aber nach einem Besuch Hitlers überarbeitet werden mussten, ehe sie 1937 endlich realisiert werden konnten. Sie werden nun einem Möbelmarkt geopfert, der nur ein Fassadenstück der mittleren Halle 2 erhält. “Verloren gehen an denkmalwerter Bausubstanz insbesondere die Natursteinfassade von Halle 1, die Hallenkonstruktion von Halle 3, der Mittelbau mit durchgehendem Oberlicht von Halle 2 und nicht zuletzt die Baufluchten zur Prager Straße,” klagt das Leipziger Stadtforum, ein Bürgerverein, der bis zuletzt um das Baudenkmal gekämpft hatte. Das einzige, was er erreichen konnte, ist ein Architektenwettbewerb für die Flügelbauten, die – welche Groteske! – zumindest die “Anmutung des alten Zustandes” vermitteln sollen.
In Weimar verhält es sich kaum besser, wider alle Bedenken von Professoren der Bauhaus-Universität, der Denkmalpflege sowie engagierter Bürgervereine. Der Fall ist deshalb delikat, weil es um ein Ensemble geht, das seine Errichtung keinem Geringeren als Goethe verdankt: das einstige Schießhaus (1803-05). Goethe hatte es im herrlichen Park an der Ilm platziert, nur um die Anlage vor einer Verbauung der Sichtachsen am alten Standort zu schützen. Herzog Karl August, der im Unterschied zu manchem Planungsdezernenten von heute noch gestalterisches Feingefühl besaß, hatte ihm dafür eigens Grundstücke zur Verfügung gestellt. Mit diesem Areal will die Stadt jetzt Geschäfte machen.
Sieht man sich an, wie der einzigartige, von Goethe selbst angelegte große Ilmpark seit DDR-Zeiten zunehmend schrumpft, wie ihm von allen Seiten zuerst Plattenbauten, zuletzt billige Investorenbuden immer näher gerückt sind, so muss man sich wundern, dass Bürgerinitiativen nicht schon längst dagegen rebelliert haben. Jetzt soll die zentrale Allee des Schießhauses mit Einzelhäusern vollgestopft werden. Und wieder wird versucht, den Bürgern ihre Zustimmung mit einem minimalen Zugeständnis abzukaufen. Auf zwei Gebäude direkt vor dem denkmalgeschützten Bau soll verzichtet werden – aber nur um den Preis nochmaliger Verdichtung der Neubebauung. Für die Bürgerinitiative eine Tragödie der Instinktlosigkeit.
In beiden Fällen geht es letztlich um dasselbe Problem: Ihrer gigantischen Verschuldungslast versuchen die Kommunen mit der Verhökerung ihres Tafelsilbers zu entrinnen. Doch so sang- und klanglos wie früher lässt sich der Ausverkauf nicht mehr durchziehen. Bürgerinitiativen und “Stadtforen”, in denen ehemalige Planer, Architekten und Juristen mitarbeiten, bilden Netzwerke über den ganzen Süden Ostdeutschlands hinweg, rufen Mitbürger auf die Barrikaden und alarmieren Medien. Wie erfolgreich sie dabei sein können, zeigt das dritte prominente Beispiel: der Marktplatz der alten thüringischen Residenzstadt Altenburg. In der Farbenpracht und im Abwechslungsreichtum seiner traufständigen Häuser aus vielen Jahrhunderten ist er von einer Lebendigkeit und Frische, wie sie Touristen aus italienischen und spanischen Städten kennen. Doch nun soll er endgültig aufgebrochen werden, um Neubauten der städtischen Wohnungsgesellschaft durchzusetzen, die sich des Segens von Oberbürgermeister Michael Wolf (SPD) erfreut. Morgen fällt die Entscheidung.
Um überhaupt soweit zu kommen, musste das Unternehmen seine Pläne schon erheblich modifizieren; denn was niemand für möglich gehalten hatte, geschah: Die flugs gegründete Bürgerinitiative “Stadtforum Altenburg” entfachte einen Proteststurm weit über Altenburg hinaus und verband sich dafür mit den Stadtforen in Leipzig und Chemnitz. Statt des zuerst geplanten Einkaufszentrums sollen nun überwiegend Wohnhäuser mit Läden in der Parterrezone entstehen. Allerdings müssen zwei besonders charakteristische Altbauten weichen: ein Gründerzeit- und ein Barockhaus, die mit dem dahinter aufragenden roten Backsteinturm der Brüderkirche den Blickfang der ganzen Platzanlage bilden. Der fein proportionierte Gründerzeitbau muss einem piefigen Neubau weichen, vom Barockhaus bleibt nur die Fassade. Dahinter will der Investor Autostellplätze schaffen – für das Stadtforum Altenburg eine Obszönität. “Wir weisen nach”, so Sprecher Johannes Schaefer, “dass man alles erhalten kann.”
Die historisch-kulturelle Reputation ist das wertvollste Gut, von dem die ostdeutschen Städte im Überlebenskampf der bevorstehenden Schrumpfungsjahrzehnte zehren müssen. Viele Bürger haben dafür ein feines Gespür entwickelt – so manchem Politiker nicht nur in den neuen Ländern ist es bis heute fremd.