Die Stadtratsfraktion Bündnis90/DieGrünen – Stadtforum Altenburg hat vor dem entscheidenden Satzungsbeschluss ein Argumentationspapier zum Neubauvorhaben “Wohnpark Lindenau” der Städtischen Wohnungsgesellschaft Altenburg (SWG) verfasst.
1. Der Standort
Die Fläche hinter Kaufland Südost wurde ursprünglich für Gärten genutzt. Bereits in den 1990er Jahren wollte ein Investor hier Eigenheime bauen, daraufhin wurden die Gärten aufgelöst. Seitdem liegt die Fläche brach, was aber wegen ihrer versteckten Lage für das Stadtbild nicht von Bedeutung ist. Die Bebauung der Fläche ist nicht zwingend notwendig. Die Fläche ist derzeit nicht erschlossen, weder verkehrs- noch medientechnisch.
Eine alternative Nutzung für die Fläche wäre der immer wieder geforderte inner-städtische individuelle Eigenheimbau mit Einzelstandorten und Reihenhäusern. Dafür ist der Standort geeignet. Die Schallschutzproblematik könnte in diesem Fall (geringere Höhe der Gebäude) durch eine moderate Schallschutzwand gelöst werden. Wenn die Erschließung zeitgleich mit ersten Sanierungen der erhaltens-werten Gebäude in der Südstraße erfolgen würde, hätte man sehr gute Vermarktungschancen der Baugrundstücke, weil die Käufer sähen, dass sich das Gebiet insgesamt entwickelt.
2. Der Bedarf
Ein Blick in das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (InSek Wohnen 2009), das mit der Beschlussvorlage 027/09/BV vom Stadtrat gebilligt wurde, zeigt: 2007 hatte Altenburg 36.472 Einwohner. Es gab 24.112 WE, davon standen 4.667 WE leer (19%). Das InSek ging von mehreren Szenarien aus:
Vom Szenario „Kollaps – Stillstand ist Rückschritt“ mit einer Zunahme des Leerstands auf 35% im Jahre 2020 bis hin zum Szenario „Stabilisierung – das Niveau halten”. Letzteres setzt einen Wohnungsrückbau von über 5.000 WE bis 2020 voraus.
Ende 2015 hatte Altenburg 32.910 Einwohner. 2016 gab es offiziell
Einwohnergewinne, die im Wesentlichen den Flüchtlingen zu danken sind (Einmaleffekt). Wie nachhaltig diese Bevölkerungsgruppe Wohnungen nachfragt, ist schwer vorherzusehen. D.h. die Flüchtlinge retten den Altenburger Wohnungsmarkt nicht, tragen allerdings vorübergehend zur Nachfrage nach Mietwohnungen bei.
Wie bereits das InSek 2003 hat auch das InSek 2009 lediglich für den Eigen-heimbau Nachholbedarf angemerkt – weil die Quote in Altenburg deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegt. Mit dem InSek Wohnen 2009 wurden deshalb auch Standorte für Neubau festgelegt. Dennoch ist unbestritten, dass aufgrund der sich ändernden Bedürfnisse der Bevölkerung Bedarf an modernem barrierefreiem Wohnraum besteht und zumindest im Erstbezug Neubauprojekte vollständig vermietet werden (Areal am Markt, SWG, und Neubebauung Teichstraße, AWG). Dies ist als Argument in die Begründung des B-Plans für den Wohnpark Lindenau sowie in die Abwägungsunterlagen eingeflossen. So heißt es in der B-Plan Abwägung auf S. 16:
„Die aufgezählten Anforderungen repräsentieren insbesondere die Wünsche der gealterten Bevölkerung. Für diese Zielgruppe ist die Herstellung von Wohnungen im Bestand nur eingeschränkt möglich. Insbesondere die Anforderungen nach einer entsprechenden barrierefreien Grundrissgestaltung einschließlich der Erreichbarkeit von Wohnungen über Aufzüge, so dass auch im höheren Alter und der Notwendigkeit, Rollatoren oder Rollstühle benutzen zu müssen, die Wohnung nicht gewechselt werden muss, sind über die Sanierung bestehender Bausubstanz nur punktuell und auch nur mit einem erheblich höherem finanziellen Aufwand umzusetzen. Die daraus resultierenden Mieten und Nebenkosten entsprechen in der Regel dann auch weniger den Rentnereinkommen.“
Grundsätzlich muss angemerkt werden, dass das Argument, Sanierung sei zu kostenintensiv und deshalb dem Neubau den Vorzug gegeben werde, die Ziele der Stadtentwicklung ad absurdum führt und den Bemühungen aller, die in der Innen-stadt Altbauten aufwendig sanieren, zuwider läuft.
Ebenso sachlich unrichtig ist die Argumentation in der Begründung des B-Planes auf Seite 6, warum dieser den Zielen der Raumordnung und der Landesplanung entspricht. Denn um das Vorhaben überhaupt bewerten zu können, fordert das Landesverwaltungsamt eine aktuelle Wohnbauflächenbedarfs- und Wohnbauflächen-Potenzialanalyse.
Es wird nun durch die Verwaltung ausführlich begründet, dass es bei der Frage des Bedarfs nicht um die quantitative Frage hinsichtlich der Gesamtzahl des vorhandenen Wohnungsbestandes, sondern um die qualitativen Anforderungen an die Wohnungen geht. Es wird festgestellt, dass durch die Überalterung der Bevölkerung Altenburgs ein erhöhter Bedarf an altersgerechten barrierearmen Wohnungen nachgewiesen ist, der in den vorhandenen Bestandsbebauten nur sehr selten und mit enormem Aufwand zu realisieren sei und dass die daraus resultierenden kostendeckenden Mieten gerade von den älteren, zumeist ja langjährigen Mietern der SWG Altenburg im Rentenalter oder auch von jungen Familien nicht bezahlbar seien.
Dagegen spricht, dass die Wohnungen in privat sanierten Häusern beispielsweise im Gründerzeitviertel zwischen Bahnhof und Altstadt sofort vermietet werden.
Bei der Argumentationslinie in der B-Plan Begründung wird zudem außer acht gelassen, dass auf der einen Seite der Bedarf begründet werden muss, auf der anderen Seite aber glaubhafte und nachvollziehbare Aussagen zum ausgewählten Standort getroffen werden müssen.
3. Planungsalternativen
In der Begründung zum B-Plan werden keine Aussagen zu Planungsalternativen getroffen. So steht auf Seite 10:
„Der Vorhabenträger SWG Altenburg möchte für ihre Mieter preiswerte über-wiegend barrierearme Wohnungen vorhalten, die ein Mehrgenerationen-wohnen und aktives und kommunikatives Miteinander der Bewohner als neues Wohn-konzept gewährleisten können. Das ist durch Umbaumaßnahmen im Bestand deutlich preisintensiver. Deshalb wurden im Vorfeld verschiedene, möglichst integrierte Brachflächen für eine Neubebauung mit fußläufig zu erreichenden Versorgungseinrichtungen untersucht. Andere untersuchte innerstädtische Standorte scheiterten an der mangelnden Größe der zur Verfügung stehenden Fläche.“
Es finden sich weder Aussagen über die Lokalisierung der untersuchten Flächen noch über die Eigentumsverhältnisse bzw. Flächengrößen.
Aus Sicht des Stadtforums ist hier eine tiefergehende Alternativenprüfung notwendig, die sich ganz klar an den definierten Zielen des integrierten Stadtentwicklungskonzeptes von 2009 orientieren sollte. Dort heißt es:
„Neben einer gezielten Förderung des Gebäudeerhalts bedarf es auch in der Innenstadt eines geeigneten Angebots neuer Wohn- und Lebensformen, um damit eine noch breitere Zielgruppe als bisher anzusprechen. Zum Beispiel bieten sich vorhandene Baulücken für ca. 140 Wohneinheiten an, um neue Angebote im Bereich Eigentumsbildung, familien- und seniorenfreundliches Wohnen in zentraler Lage zu schaffen.“
Im Sinne der Leitziele: „Reduzierung der gesamtstädtischen Neubaustandorte und Konzentration auf die Innenstadt (Lückenschließung)“
Wenn die SWG Bedarf an neuen attraktiven Geschosswohnungen sieht, stehen alternative Standort in der Innenstadt, die heute brach liegen, zur Verfügung. Nicht alle sind im Eigentum der SWG bzw. der Stadt, dennoch wäre deren Wieder-bebauung für die Stadtstruktur der denkmalgeschützten Altstadt um ein Vielfaches wichtiger als das Vorhaben im Südosten der Stadt.
Standorte für Geschosswohnungsbau (z.T. auch Sanierung angrenzender Gebäude) könnten sein: Teichstraße Südseite, Teichstraße Ecken zur Kesselgasse und zur Hillgasse, Roßplan/Ecke Schmöllnsche Straße (Überbauung TG-Zufahrt), Schmöllnsche Straße/Ecke Sterlsgasse (derzeit Zwischennutzung Parkplatz), Wallstraße südlich Volksbank bis zur Kunst, Brückchen, Topfmarkt/ Spiegelgasse/ Klostergasse (mit Unterlagerung Parken + ggf. Handel), Weibermarkt (abgerissene SWG-Grundstücke), Kesselgasse.
Dass der Umbau von Bestandimmobilien zu barrierearmen Wohnungen teurer ist als ein barrierearmer Neubau, ist im Einzelfall zu prüfen, jedoch angesichts der kommunizierten sehr hohen Kaltmieten beim Wohnpark Lindenau anzuzweifeln. Denn für einen Umbau in der Innenstadt können Städtebaufördermittel eingesetzt werden, auch für ein Mehrgenerationenhaus o.ä.
4. Das Vorhaben
Wohnpark Lindenau In der SWG Mieterzeitschrift heiß es:
„Das neu entstehende Wohngebiet soll für Wohnungsinteressenten aus allen benachbarten Regionen, für Pendler, Rückkehrer und Kapitalanleger gleichermaßen interessant sein.“
Spätestens hier muss das mehrfach im Bebauungsplan sowie in den Schilderungen der SWG aufgeführte Argument der bezahlbaren Mieten für junge Familien und Senioren korrigiert werden. Aufgrund der aktuellen Entwicklung rechnet der Vorhabenträger mit Mieten, die annähernd doppelt so hoch sind wie die momentane Durchschnittsmiete.
Beim Blick auf die Rendite bzw. den Nutzen des Projektes für die SWG haben sich die Fakten geändert. Aufgrund der reduzierten Geschosse und der dadurch geringeren Anzahl der Wohneinheiten von ursprünglich 130–150 auf nunmehr 90 Wohnungen, der erhöhten Aufwendungen beim Schallschutz sowie der dramatischen Entwicklung der Baupreise haben sich die Renditeaussichten stark reduziert. Gegen die ursprüngliche Planung von einer Gesamtrendite des Projektes von 4–5 % steht heute die Aussage: „Wir werden keine Miesen machen“.
Laut aktuellen Zahlen beabsichtigt die SWG 40 Wohnungen im eigenen Bestand zu halten. Eine mindestens ebenso große Anzahl von Wohnungen soll direkt an Kapitalanleger bzw. einen Immobilienfonds veräußert werden. In Anbetracht der ausbleibenden Rendite stellt sich hier die Frage, warum die städtische Wohnungs-gesellschaft als Bauträger auftritt. Im Übrigen ist es nicht unwichtig zu erwähnen, dass bis 2021 nur ein Teil des Projektes realisiert werden soll. Erst nach erfolg-reichem Verkauf des Bauträgeranteils (ca. 45 Wohnungen) soll der eigene Bestand gebaut werden.
Aktueller Zeitplan: Erschließung 2019, Baubeginn 2020, Erstbezug 2021, Fertigstellung 2022/23
Daraus ergibt sich die Frage:
Welche Aufgaben hat die Städtische Wohnungsgesellschaft (SWG) eigentlich?
Auf ihrer Website heißt es: „Die wichtigste Aufgabe der SWG ist es, den Einwohnern Altenburgs sicheren, modernen und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.“
- Ist es also Aufgabe der SWG, für Immobilienfonds und Kapitalanleger das Risiko als Generalunternehmer zu übernehmen?
- Ist es richtig, dass ein immer noch in der Sanierung befindliches Unternehmen ein solches Projekt durchführt?
- Hat die SWG als 100 % städtisches Unternehmen bei ihren Projekten nicht auch eine städtebauliche und soziale Verantwortung?
5. Die Auswirkungen für die (Alt-)Stadtsanierung
Die städtische Wohnungsgesellschaft hat sich in den letzten Jahren stark bei der Sanierung einzelner Stadtquartiere in der Altenburger Altstadt engagiert. Bisher war die SWG der wichtigste Investor, wenn es um Vorhaben in der Altstadt ging. Durch die Sanierung und auch die eine oder andere Lückenschließung mittels Neubau konnten wichtige Projekte zur Rettung alter erhaltenswerter Gebäude, der städtebaulichen Stabilisierung von historischen Stadtstrukturen, zur Belebung der Innenstadt umgesetzt (Teichstraße, Moritzstraße, Schmöllnsche Straße, Areal am Markt, Spiegelgasse) und private Hausbesitzer motiviert werden. Wenn die SWG ihre Investitionstätigkeit nun auf den Standort hinter dem Kaufland Südost lenkt, fällt sie für dringend benötigte Projekte in der Innenstadt aus. Damit würde ein mühsam begonnener Weg mit langsam sichtbaren Erfolgen abrupt enden: kein gutes Signal für die Innenstadt.
Wegen der Neubauvorhaben in der Puschkinstraße und beim Wohnpark Lindenau wird es in den nächsten fünf Jahren im Sanierungsgebiet, also in der Kernstadt von Altenburg, keine Investitionen der SWG geben.
Des Weiteren wird es zum Abzug von Mietern aus eigenen oder fremden Mietobjekten in den neuen Wohnpark führen, was wieder eine Erhöhung der Leerstandsquote zur Folge hat. Es ist unbestritten, dass trotz möglichen Zuzugs aufgrund der hohen Altersstruktur auch in den nächsten Jahren die Einwohnerzahl Altenburgs weiter zurückgehen wird. Die Investitionen würden eben gerade nicht in die Kernstadt mit ihrem historischen Altbaubestand fließen, in der wir mit über 35 % Leerstand zu kämpfen haben. Sie würden eben nicht zu einer Aufwertung der touristisch interessanten Altstadt führen. Sie würden eben nicht zur Belebung der Innenstadt beitragen. Es würde eben nicht zur Stärkung des Einzelhandels am Markt und den Nebenstraßen kommen. Gerade dort sind Investitionen aber wichtig, gerade dort brauchen wir eine Stärkung der Strukturen.
Da in Altenburg die Ressourcen knapp und das Investitionsvolumen privater Hausbesitzer sowie der Wohnungsgesellschaften endlich ist, müssen wir gezielt und treffsicher da investieren, wo Aufwertung, Stadtreparatur und Nachhaltigkeit gegeben ist.
6. Alternativer Vorschlag
Seit über zehn Jahren liegt das Quartier XV zwischen Spiegelgasse und Josephinum brach. Zurzeit ist dort als Zwischennutzung ein Parkplatz angelegt. Seit langem gibt es Überlegungen zum Wiederaufbau dieses historischen Stadtquartiers mit verschiedenen Möglichkeiten der Nutzung. Die aktuellste Studie zu diesem Quartier ist ein Konzept aus dem Jahr 2010/2011 durch das Architekturbüro Quaas aus Weimar.
Abbildung: Variante B2 aus dem Quartierskonzept zu den Quartieren VIII und XV (2010/2011)
Aus Sicht des Stadtforums und auch aller anderen Fraktionen des Altenburger Stadtrates, ist es endlich Zeit, dieses Quartier wieder zu bebauen. Aufgrund der Grundstücksgröße und der Flächenverfügbarkeit wäre die sofortige Planung und Bebauung durch die SWG möglich. Die SWG plant im Wohnpark Lindenau für ihr eigenes Portfolio 40 moderne, seniorengerechte Neubauwohnungen mit entsprechenden Stellplätzen. Aufgrund der Flächengröße ist ebenso eine öffentliche Parkierungseinrichtung sowie teilweise die Einordnung von Gewerbeflächen möglich. Betrachtet man den Flächenzuschnitt und die Grundstücksgröße ist auch hier ein attraktives Wohnen mit Freiflächen mindestens genauso umsetzbar wie hinter dem Kaufland Südost.
Mögliche Bebauung Variante B2 im Quartier XV vom Topfmarkt aus betrachtet .
Das Stadtforum Altenburg ist überzeugt, dass mit dem Wechsel des Vorhabens und zielstrebiger, gemeinsamer Anstrengungen ein wichtiger Lückenschluss durch die Wiederbebauung des Quartiers XV in den nächsten Jahren realisierbar und für die Stadt Altenburg sowie für die SWG sinnvoller und nachhaltiger wäre.
In seiner Sitzung am 25. Oktober 2018 entscheidet der Stadtrat darüber, wo und wie wir in unserer Stadt vorankommen wollen. Trotz der Kritik des Stadtforums über die Art und Weise der Bebauung des Areals am Markt zeigt dieses Projekt, wie die SWG innerstädtisches Wohnen realisieren und zur Belebung des unmittelbaren Marktareals beitragen kann. Auch die AWG hat in der Teichstraße gezeigt, dass mehrgeschossiges Wohnen in der Innenstadt als Lückenschluss und Stadtreparatur sinnvoll ist. Das Stadtforum Altenburg wirbt dafür, die Satzung zum Bebauungsplan „Wohnpark Lindenau“ nicht zu beschließen, sondern sofort mit den ersten Schritten zur Realisierung der Bebauung des Quartiere XV zu beginnen.