Nach über einem Jahr heftiger, kontroverser und mitunter die guten Sitten missachtender Auseinandersetzung hat der Altenburger Stadtrat vorgestern Abend den Schlusspunkt unter die Debatte zum Areal am Markt gesetzt. Mit 22 Ja- und 15 Nein-Stimmen gab er mehrheitlich grünes Licht für das nach wie vor außerordentlich umstrittene Bauprojekt. Mit diesem Beschluss wird auch der von Denkmalschützern heftig kritisierte Abriss zweier historischer Häuser endgültig besiegelt.
Von Ellen Paul
Der große Ratssaal im Rathaus ist vorgestern Abend bis auf den letzten Platz besetzt. Sogar die zusätzlich aufgestellten Besucherstühle reichen nicht aus. Gut ein Dutzend interessierter Bürger muss in schwüler Luft und hitziger Atmosphäre sogar vier Stunden lang stehen, bis die Entscheidung fällt. Denn so lange nehmen sich die Abgeordneten Zeit, um ein letztes Mal Für und Wider des von der Städtischen Wohnungsgesellschaft (SWG) vorgelegten und inzwischen mehrfach modifizierten Bebauungsplans für das Quartier zwischen Markt und Brüderkirche abzuwägen. Dabei geht es nicht mehr um Details wie Dachneigung oder Fensterhöhe. Die Redner aller Fraktionen nutzen die Gelegenheit vor allem, um ihren so zahlreich erschienenen Wählern ihre Gedanken und Gefühle kundzutun, ihre Entscheidung zu begründen.
Eine Entscheidung, die offensichtlich für viele zu den schwersten gehört, die sie je zu fällen hatten. Einig ist man sich offensichtlich nur über eines: Es soll endlich gebaut werden. Doch über das Wann und Wie geht die Meinung nach wie vor auseinander, geht – wie mehrfach betont wird – ein Riss durch die Bevölkerung und den Stadtrat. Heftig kritisiert wird von den Gegnern des SWG-Projekts erneut, dass es nur einen Planer gibt, dass kein Architektenwettbewerb initiiert wurde. “Auch die Schönheitsoperationen am ursprünglichen Plan machen aus dem Frosch keinen Prinzen. Was wir jetzt haben, ist ein schlecht geschminkter Prinz in einem rosaroten Samtkleid”, wird beispielsweise CDU-Fraktionschef Christoph Zippel bildlich.
Auch dass die Bürgerinitiative in einer groß angelegten Unterschriftensammlung den Altenburgern suggeriert habe, es gebe nur Abriss und Neubau oder es bleibe alles beim Alten, ist offensichtlich vielen Stadträten sauer aufgestoßen.
Die Befürworter hingegen wähnen die Bürger für klug und mündig genug, um zu wissen, was sie da über 4000 Mal unterschrieben. Sie argumentieren, dass der Schandfleck endlich verschwinden muss, dass mit 80 bis 100 neuen Mietern Leben in die Innenstadt einziehe und es schon finanziell schlichtweg unmöglich sei, alle historischen Bauten zu erhalten.
Obwohl viele, egal ob Gegner oder Befürworter, endlich eine Entscheidung wollen, unternehmen Johannes Frackowiak (FDP) und Peter Müller (CDU) “letzte verzweifelte Versuche”, noch einen Aufschub beziehungsweise eine Kehrtwende in Sachen Denkmalschutz zu erreichen. Der eine beantragt, die Beschlussvorlagen noch einmal in die zuständigen Ausschüsse zurückzuverweisen, was der Stadtrat mit äußerst knapper Mehrheit von 18:19 Stimmen ablehnt. Der andere kommt mit seinem Ansinnen, der OB möge Fördermittel für den Erhalt der beiden denkmalgeschützten Häuser beantragen, gar nicht erst durch. Begründung: Die Bewilligung der notwendigen Eigenmittel hatte der Stadtrat vor vier Wochen abgelehnt.
Daraufhin – es ist bereits kurz vor 22 Uhr – beginnt die von der CDU beantragte namentliche Abstimmung. Sie bringt mit 22 Ja- und 15 Nein-Stimmen eine klarere Entscheidung, als zu erwarten war. Die Besucher quittieren sie mit Pfiffen und Buh-Rufen oder heftigem Applaus, jenachdem welchem “Lager” sie angehören. SWG-Chef Michael Rüger lächelt zufrieden und erleichtert. Denn jetzt kann es losgehen.
Nach den Plänen der Wohnungsgesellschaft soll im Juli der Abriss der Gebäude für das neue Quartier beginnen. Danach wird das Feld zunächst archäologischen Grabungen überlassen, bevor die Bauarbeiten im Oktober anlaufen. Das Gesamtprojekt mit einer Investitionssumme von 5,7 Millionen Euro soll Anfang 2013 abgeschlossen sein. Es entstehen 35 Wohnungen, eine Tiefgarage, ein Einkaufsmarkt sowie ein Restaurant.
So votierten die einzelnen Abgeordneten über den vorgelegten Bebauunsplan:
CDU
Peter Müller nein
Christoph Zippel nein
André Neumann ja
Frank Tanzmann nein
Stefan Nowak nein
Christian Götzenein
Sandy Reichenbach nein
Wido Hertzsch nein
Björn Petersen ja
Stefanie Apel ja
Lili Schmidt nein
Linke
Birgit Klaubert nein
Mandy Eißing nein
Andreas Schmidt ja
Barbara Plötnerja
Harald Stegmannnein
Kati Klaubertnein
Gerhard Stenzel ja
Pia Taubert ja
Jürgen Fleischer ja
SPD
Nikolaus Dorsch ja
Annett Kügler ja
Sibylle Börngen ja
Torsten Rist ja
Margitta Dittrich ja
Annelies Metzschke ja
Wilfried Präger ja
Peter Friedrich ja
Volker Schwerd ja
Frank Fache ja
Wolfgang Krause ja
Carsten Heyn ja
Andrea Rückerja
Fraktionslose Mitglieder
Johannes Frackowiak (FDP) nein
Detlef Zschiegner (FDP) nein
Christian Maul (Bündnis 90/Die Grünen) nein
Oberbürgermeister
Michael Wolf (SPD) ja
Mit zweierlei Maß gemessen . Kommentar
Von Ellen Paul
Nach dem, was aus den Fraktionen vorab verlautete sowie am Abend in der Diskussion signalisiert wurde, wäre alles andere als eine mehrheitliche Zustimmung zu den Bebauungsplänen für das Areal am Markt in Altenburg eine mittlere Sensation gewesen. Sie blieb aus. Das mag man gut finden oder nicht, es ist eine von einem frei gewählten Gremium demokratisch getroffene Entscheidung. Sie wird so oder so zu akzeptieren sein und soll deshalb hier auch nicht kommentiert werden. Nicht unkommentiert bleiben darf hingegen, wie sie zustande gekommen ist.
Da gibt es bei einem Projekt solcher Tragweite nur einen Planer und einen Entwurf, der auf Druck der Öffentlichkeit und des Stadtrats wenigstens einige Schönheitskorrekturen erfährt, während bei einem vergleichsweise unbedeutenden Marktbrunnen ein Architektenwettbewerb initiiert wird. Da bleiben bei einem Jahrhundertvorhaben schnell mal eigene Maßstäbe unbeachtet, während bei einem privaten Geschäftsmann allein das Aufstellen einer Markise zum Politikum gerät. Da lässt sich der Stadtrat mehrfach vom Oberbürgermeister und seiner Verwaltung ausbremsen, ohne Konsequenzen zu ziehen und auf seinen Forderungen zu bestehen. In einem Fall ignorierte er bereitwillig sogar seinen eigenen Beschluss.
Vor allen Dingen aber haben es die politisch Verantwortlichen geschehen lassen, dass die Bevölkerung in zwei fast unversöhnliche Lager gespalten wird, statt sie seriös zu informieren und im Interesse einer schönen Altstadt zu einen. Eine öffentliche Debatte, die Sitte und Anstand mitunter weit hinter sich ließ, war das Ergebnis.