Die Welt, 31. Dezember 2009

Ein Plattenbau soll Altenburgs Marktplatz entstellen. Von Dankwart Guratzsch 

Krieg und Sozialismus hat der Marktplatz von Altenburg überstanden. Jetzt soll er durch Neubauten entstellt werden

Die Winterzeit ist die Zeit der Weihnachtsmärkte, die Zeit der Marktplätze, der Ortsgeschichte, der regionalen Bräuche und Gerichte. In der thüringischen Residenzstadt Altenburg ist sie in diesem Jahr überschattet vom Gespenst der Stadtzerstörung. Denn just den Marktplatz, der Krieg und SED-Herrschaft unbeschadet überstanden hat und der als einer der schönsten in Deutschland gelten kann, will die Städtische Wohnungsgesellschaft SWG zum Gestehungspreis von 5,2 Millionen Euro umbauen – für viele Altenburger eine Horrorvorstellung.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, der Bürgerverein Altstadt, der Denkmalbeirat und Kirchenvertreter wie Pfarrer Andreas Gießler von St. Bartholomäi protestieren. Sie verlangen die Sanierung der bestehenden Gebäude aus Barock- und Gründerzeit und sehen in dem Projekt einen Anschlag auf die Identität der Stadt. Und nun sind die städtischen Parteien zerstritten. Die Abrissgenehmigung für ein ganzes Quartier musste zurückgezogen, der auf das Vorhaben bezogene Bebauungsplan in die Ausschüsse zurückverwiesen werden – doch ob die Stadträte tatsächlich für die Problematik hinreichend “sensibilisiert” werden konnten, ist immer noch fraglich. OB Michael Wolf (SPD) hat der Gesellschaft das gesamte Areal an die Hand gegeben. Und die bekennt sich auch ganz offen dazu, an diesem neuralgischen Punkt erst mal Tabula rasa zu machen. “Unser Anspruch bestand zu keiner Zeit darin, eine architektenpreisverdächtige Neubebauung vorzunehmen”, heißt es im Internetauftritt der Gesellschaft. Der von den Kritikern schon mal “Plattenbau” geschimpfte Neubaukomplex wartet denn auch mit billig wirkenden, glatten, bunt getünchten rasterförmigen Fassaden auf, deren Schlichtheit das Unternehmen mit den “wirtschaftlichen Zwängen am konkreten Standort” und “umfangreichen Sanierungsaufgaben in unserem Wohnungsbestand” begründet. Aber wie konnte es dazu kommen, dass die Stadt ihre “gute Stube” einem solchen Sachwalter überlässt?

Es ist eines jener Vorhaben, mit denen die Erben des sozialistischen Städtebaus, die ostdeutschen Wohnungsgesellschaften, Modelle des Stadtumbaus aus der Spätzeit der DDR aufgreifen. Damals wurden von Gotha bis Zwickau, von Halle bis Greifswald halbe Innenstädte niedergelegt, um mit der “bourgeoisen” und “feudalen” Vergangenheit der Städte aufzuräumen und für eine “neue Gesellschaft” reinen Tisch zu machen. Nicht überall sind die Lehren aus dieser Kahlschlagpolitik bis heute verinnerlicht worden. Und so konnte es geschehen, dass Städte wie das brandenburgische Wittenberge, das anhaltinische Weißenfels und das sächsische Chemnitz auch noch nach der Wiedervereinigung ihre Wohnungsgesellschaften darin unterstützten (und das zum Teil noch immer tun), Fördermittel aus dem Stadtumbauprogramm in den Abbruch historischer Bausubstanz zu stecken – eine Strategie, die der Bund auch noch mit der Streichung von Altschulden honoriert.

Gegenbeispiele aus Erfurt, Jena, Bad Langensalza oder Weimar beweisen, wie sich aber gerade mit der Sanierung abgängiger Altbauten das städtische “Image” stärken und das Stadtbild aufwerten lässt. Ein Erfolgsmodell wie das Erfurter Andreasviertel, in dem beim Zusammenbruch der DDR schon die Abraumbagger wüteten und das heute zu den Vorzeigeobjekten ostdeutschen Stadtumbaus gehört, belegt, was für ein geschäftlicher Gewinn sich mit einer solchen Strategie verbindet. Trotz des bescheidenen Zuschnitts der Häuser gehört es heute zu den begehrtesten Wohnlagen der thüringischen Landeshauptstadt.

Auch für Altenburg muss noch lange nicht alles gelaufen sein, wenn die Stadtväter noch in letzter Minute die Kurve bekommen. Schließlich kann man sämtliche Nutzungen, die für das Neubauquartier vorgesehen sind, auch in den Altbauten unterbringen – es dürfte nur ein bisschen mehr Gehirnschmalz kosten. Und der materielle Aufpreis, der wohl dafür einkalkuliert werden muss, müsste sich rechnen. Investieren doch landesweit unzählige Städte Millionensummen, um verschwundene Altstadthäuser in alter Pracht wiederauferstehen zu lassen. Auch wenn das schöne Altenburg ein bisschen abseits der großen Verkehrswege liegt – auf einem anderen Stern liegt es jedenfalls nicht.

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